Denglisch
VDE Rhein-Ruhr
02.12.2020

Hat das Corona-Virus nun auch die Elektrotechnik befallen?

Anglizismen in der Corona-Pandemie

Der Einzug englischer Wörter und Redewendungen in die deutsche Sprache stellt bekanntlich eine sprachliche Erscheinung dar, die bereits seit dem 19. Jahrhundert zu beobachten ist. Allerdings hat die Zahl der Entlehnungen in den letzten Jahrzehnten im Zuge der Globalisierung stark zugenommen. In der neuesten Entwicklung zeigt sich vermehrt eine unreflektierte und teilweise sinnentstellende Übernahme englischer Begriffe, für die man problemlos entsprechende Formulierungen in deutscher Sprache hätte nutzen können.
Die in der Germanistik als Anglizismen bzw. Scheinanglizismen bezeichneten Wortentlehnungen und Formenbildungen findet man seit langem in der Werbung und in Fachsprachen, aber nun auch zunehmend in der allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Diskussion sowie in der Berichterstattung von Massenmedien und insbesondere im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. So sind in diesem Zusammenhang die ARD Tagesschau und die ZDF Heute Redaktion für ihre sprachlichen Fehlleistungen als „Sprachpanscher des Jahres 2020“ gekürt worden (Verein Deutsche Sprache).

Generell hat sich für derartige Entgleisungen mittlerweile der abwertende Fachbegriff „Denglisch“ eingebürgert, der unter anderem den Einbau englischer Adjektive und Verben in deutsche Texte sowie die „Konstruktion“ neuer, aus englischen und deutschen Wortbestandteilen zusammengesetzter Ausdrücke bis hin zur „Erfindung“ englisch klingender Wörter umfasst.

Als aktuelle Begleiterscheinung zur Corona-Pandemie erleben wir derzeit einen vorläufigen Höhepunkt des leidigen Denglisch-Trends. Zahlreiche englische Begriffe und Redewendungen werden zur Situations- und Maßnahmenbeschreibung eingesetzt, wobei vielfach die eigentliche Bedeutung der Fremdwörter unberücksichtigt bleibt.

Es begann mit dem „Social Distancing“, das weltweit von den Medien unkommentiert übernommen wurde. Schon bald wies die WHO darauf hin, dass es gerade nicht um eine soziale Distanzierung, sondern um eine räumliche Trennung gehe und empfahl daher, stattdessen „Physical Distancing“ zu verwenden, was im Deutschen gut mit „Abstand“ und „Kontakteinschränkung“ zu umschreiben ist. Es folgten weitere, teilweise falsch oder unpassend eingesetzte Anglizismen. An vorderster Stelle stehen Lockdown (Ausgangssperre, Abriegelung usw.) und Shutdown (Fabrikschließung, Stilllegung usw.), die abwechselnd und ohne erkennbare Systematik für diverse angeordnete Schutzmaßnahmen zum Einsatz kommen. Superspreader, Homeschooling und Flatten-the-Curve sind weitere Negativbeispiele. Für alle Themen stehen in der deutschen Sprache geeignete und vor allen Dingen allgemeinverständliche Begriffe bzw. Spezifizierungen (z.B. Kontakteinschränkungen, Ausgangsbeschränkungen, Schulschließung, Gastronomieschließung usw.) zur Verfügung.

Mit Beginn der zweiten Corona-Welle im Oktober 2020 steigerte sich dann nicht nur das Infektionsgeschehen, sondern auch der Umfang des Corona-Denglischen. Die politisch Verantwortlichen ordneten einen „Lockdown Light“ bzw. „Teil-Lockdown“ an, als ob es jemals in Deutschland eine flächendeckende Corona-Ausgangssperre (Lockdown) gegeben hätte.

Nun kam auch endlich die Elektrotechnik als weiterer Höhepunkt der Denglisch-Kreativität ins Spiel: Im Sinne einer Sofortmaßnahme zur Eindämmung der zweiten Pandemiewelle wurde ein „Circuit Breaker“ (Leistungsschalter) eingeführt.
Im Internationalen Elektrotechnischen Wörterbuch (IEV, DIN IEC 60050) findet man in Kapitel 441-14-20 folgende Funktionsbeschreibung:

Mechanisches Schaltgerät, das Ströme unter Betriebsbedingungen im Stromkreis einschalten, führen und ausschalten und auch unter festgelegten außergewöhnlichen Bedingungen, wie Kurzschluss, einschalten, während einer festgelegten Dauer führen und ausschalten kann.

Mit Verwunderung werden sich die Fachleute der E-Technik gefragt haben, wie denn ein Leistungsschalter die Reduzierung der Infektionszahlen bewirken soll. Sowohl im Englischen als auch im Deutschen handelt es sich einzig und allein um ein elektrotechnisches Spezialgerät, dessen Namen keinerlei übertragene Bedeutungen hat und somit der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung gänzlich unbekannt sein dürfte.

Der Sender RTL erklärt die ungewöhnliche Wortwahl damit, dass es sich beim Circuit Breaker um einen sogenannten Trennschalter (!) handele, der die Unterbrechung eines Stromkreises herbeiführe und damit gut die vorgesehene Unterbrechung eines Infektionsgeschehens beschreibe (https://www.rtl.de/cms/deutsch-corona-corona-deutsch-was-die-begriffe-bedeuten-4640665.html).

Als Alternativbegriff ist mittlerweile das deutsch-englische Wortgemisch „Wellenbrecher-Lockdown“ im Umlauf, welches das Abbremsen einer starken Entwicklung symbolisieren soll. Der bekannte Bundestagsabgeordnete K. Lauterbach und einige TV-Moderatoren benutzen in diesem Zusammenhang lieber die Formulierung „Wellenbrecher-Shutdown“, was jedoch das Wirrwarr nicht besser verständlich macht.

Bezüglich des „Wellenbrechers“ sei ergänzend die nicht ganz ernst zu nehmende elektrotechnische Anmerkung gestattet, dass man hier statt eines Leistungsschalters eher einen Überspannungsableiter hätte bemühen müssen, denn dieser wird im Englischen bekanntlich mit „Surge Arrester“ (surge = Welle, Woge; to arrest = bremsen, hemmen) übersetzt. Das beschreibt im übertragenen Sinne sogar besser die aktuelle Pandemie-Entwicklung, denn ein Ableiter unterbricht nicht, sondern begrenzt auf ein gewisses Maß. Falls ein realer Leistungsschalter ein derartiges ungewöhnliches Verhalten aufwiese, würde die Fachwelt eine Art „Schalterversager“ diagnostizieren.

„Bleibt zu hoffen, dass nicht nur das Infektionsgeschehen nachlässt, sondern auch die Manie, alles, auch den größten Unfug, nicht mit originellen deutschen Wortschöpfungen, sondern mit englischen Lehnwörtern vorzustellen – die man oft genug schlecht übersetzt und obendrein weder deutsch noch englisch ausspricht.“ (Verein Deutsche Sprache, Infobrief vom 31.10.2020, Kapitel 4.)

Dirk Bannach